Körpergehäuse

Ein imaginierter Dialog mit und eine versuchte Hommage an Anna Maria Strackerjan.

Zwischen 1976 und 78 haben Sie diese kleinen Bronzeskulpturen geschaffen:
Frauenkleider mit und ohne Namen, Jacken, ein Gehrock. Das bedeutet, Sie haben sie modelliert, später wurden sie in kleinen Auflagen gegossen. Ich bin hängengeblieben am Rockzipfel, hafte am Faltenwurf, bin immer wieder fasziniert von der Schlichtheit, der Bewequng im Statischen, den fließenden Faltungen, den Draperien.

Meine eigenen - realen - Kleider sind Gehäuse des täglichen Gebrauchs. Zum einen ist es das Innenkleid, das mit meinen Körperempfindungen korrespondiert als weich, warm, schmiegsam, kühlend, kratzig, sperrig, als eng oder kommod, schützend oder preisgebend, maskierend oder bloßstellend, konform oder provozierend, gedeckt oder schrill. Und damit ist es bereits Außenkleid, zeigt seine zweite Seite. Während ich die Innenseite eher fühle, richtet sich die Außenseite an den Augensinn. Für dieses Außen benötige ich den Spiegel, sonst ist sie für mich nur bruchstückhaft wahrnehmbar. Dieses Außenbild gehört zu dem, was ich anderen von mir zeigen will.

Wir sind gewohnt, daß das Kleid als weiche Hülle nach dem Ablegen in sich zusammenfällt oder allenfalls von einem Bügel herabhängt. Ihre Kleider stehen, sie stehen mit großer Selbstverständlichkeit. Die geronnene Form läBt mich eine Gestalt antizipieren, die nicht vorhanden ist, die aber Andeutungen von Körperhaftigkeit wie einen Prägedruck im modellierten Stoff hinterlassen hat. Die bewegte Hülle verrät verhaltene Gesten nicht vorhandener Körper, so als sei der Körper entwichen, ohne daß es dem Kleid bewußt wurde, es bleibt in einer Haltung erstarrt zurück. Das pars-pro-toto läBt mich die Frauengestalt dahinter sehen. Sie haben diesen Kleidern zumeist Frauennamen gegeben: Helena, Iris, Josephine, Ophelia. Ihre Kleiderskulpturen verkörpern Frauen aus Mythologie, Geschichte und Literatur. Es gibt silhouettenhafte Andeutungen und sparsame Hinweise auf bestimmte Epochen, ohne kostümhaft oder modisch zu werden.

Die Hüllen des Ichs bevölkern die Bühne der Geschichte wechselnd zwischen schillernder Maskerade, aufgezwungenem Panzer und authentischem Eigenbild: das Kleid als Geste eines Lebensgefühls, einer Haltung, einer brüchigen Identität.

Mich wiederfinden im eigenen Körpergehäuse, die Mehrschichtigkeit - den Innenraum als Wohnkleid und die Außenform als Zeichen, als Signal zum Thema machen, die Scheu der Annäherung überwinden, mich treiben lassen in und von der zweiten Haut im eigenen ästhetischen Prozeß, den visuellen Dialog nicht abreißen lassen, die Vermessenheit erkennen, den Versuch einer Hommage trotzdem wagen. Was ist Ihrer würdig? Ist in Ihren Kleidern nicht alles gesagt? Ohne Worte? Nur durch Ihre bronzenen Hüllen?

Barbara Habermann

Aus "verfolgte wege" (siehe Bibliografie),
ebenfalls veröffentlicht in "Oldenburgerinnen",
Texte und Bilder zur Geschichte, Isensee Verlag, Oldenburg 1995