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Die gegenwärtige Situation der Plastik trägt Krisenkennzeichen. Das Objekt - bestimmt von neuen Formen und Materialien - scheint der herkömmlichen Plastik den Rang ablaufen zu wollen. Die Position kann nur gehalten werden, wenn auch in der Plastik-Tradition selbst Beweung und Veränderung entsteht. Die Hinwendung zur menschlichen Figur - deutlich bei Schmettau oder Schoenholtz - ist weniger ein Rückgriff als ein neuer Ansatz, ein gewiß traditionell belastetes Thema erneut in den Griff zu bekommen und dabei neue Formen der Plastik zu finden. Das Werk der Bildhauerin Anna Maria Strackerjan kann sich in diesem Zusammenhang sehen lassen, weil auch hier neue plastische Wege beschritten und dabei gleichzeitig Möglichkeiten für eine neue Zeichnung des Menschen im Medium der Plastik gefunden werden.
Der Mensch in begrifflich realer wie in mythologisch-phantastischer Version ist ständiges Thema der Bildhauerin gewesen. Die verschiedenen Werkphasen lassen anfangs den Zusammenhang mit der Tradition der Berliner Bildhauerschule erkennen. Doch tritt bald die individuelle Formgebung in den Vordergrund, etwa dann, wenn das Motiv zugunsten einer hauptsächlichen Materialbehandlung zurücktritt. Plastik ist hier das Ergebnis formbaren Materials, wobei vor allem die Finger und Hände beteiligt sind.
Dabei wird das anfangs vorhandene Volumen der Plastiken verdrängt, die Oberfläche gewinnt zunehmend Bedeutung. Zu ihr tritt die Linie als Kontur, die die Abschnitte eines Details abgrenzt gegen andere. Die Erfahrungen, die Anna Maria Strackerjan bei diesen Vorgängen sammelt - der plastische Wert von Rhythmus, Gliederung und Bewegung, mit denen reliefhafte Formen beherrscht werden - nimmt sie mit hinüber zu einer neuen Phase, der letzten in Bronze, wo sie Beziehungen zur Tradition aufzeigt und gleichzeitig in Frage stellt:
Die Torsi dieser Zeit sind von der gleichen Oberflächenspannung bestimmt wie die älteren Reliefs; aber sie lassen wieder ein Volumen erkennen, das scheinbar die Formen von innen her sprengen will. Dieses Quellen aus dem Zentrum der Figur heraus gibt den Motiven Kraft, aber die Oberfläche kann im Grunde dieser Kraft nicht widerstehen. Sie reißt. Auch hier ist eine Stellungsnahme der Künstlerin zu vermerken, die sich auf die Bildhauerkunst insgesamt bezieht: Dieses Aufreißen ist praktisch das Ende der traditionellen Behandlung des Themas Mensch, ist Abschied von der Antike, ist gleichzeitig Suche nach neuen Wegen. Die Konsequenz wird fast gleichzeitig angedeutet: Der Torso gerät zur Jacke, die Oberfläche ist um einen Hohlraum gespannt, die innere Leere ist Aussageabsicht trotz der exakten Arbeit an der Bronze.
Es mag sein, daß danach keine überzeugende Bronze-Arbeit mehr möglich gewesen ist - das Material wird gewechselt: Drahtgerüst und eine trocknende Masse aus verschiedenen Stoffen werden Grundlage von Figurationen, die zunächst weiterhin dem mythologischen Bereich zugeordnet werden können. Dazu kommen einfache Bewegungs- und Tiermotive, alle freilich in der gleichen Durchsichtigkeit, Rauhheit und Spannkraft, die das Material zuläßt.
Der nächste Schritt vollzieht sich bei jenen Arbeiten, die Menschenformen wiedar unmittelbarer zum Thema haben, wobei die gehobenen Titel nicht überbewertet werden dürfen. Im Falle „Prinzessin" ("Infantin") sind sie sogar ironische Zutat. Es ist auffällig, daß die menschlichen Gestalten, die jetzt entstehen, Positionen der Ruhe, der Statik eingenommen haben, während doch die davor liegenden Torsi Bewequng und Gesten andeuten. Ein Grund für diesen Wechsel liegt wohl in der Verbindung der Figur mit einem Stahlrahmen, in dem sie sitzt oder auf dem sie ruht. Zum anderen aber geht Anna Maria Strackerjan die menschliche Figur eigentlich überhaupt nicht direkt an - alle ihre Arbeiten sind Übertragungen: Ausnahmen wären das Portrait oder „Die Schlafende" ("Odaliske); dem stehen die sitzende Figur der „Prinzessin" - einst quellende Figur genannt - sowie die Galionsfigur und die Statue des römischen Kaisers gegenüber.
Wenn der Mensch in der gegenwärtigen Plastik unmittelbar gemeint ist, dann nur im Porträt oder im Detail. Nur die Berliner Realisten haben die reale Abbildung gesucht und Pappkameraden gefunden. Da Anna Maria Strackerjan modischen Bildhauer-Richtungen nicht folgt, sich auch nicht dem Objekt zuwendet, findet sie hier die Möglichkeit, aktuelle Aussagen über die gegenwärtige menschliche und künstlerische Situation zu machen. Die Übertragung humaner Aspekte auf Zwischenformen wie Statuen oder Galionsfiguren distanziert. Ganz gewiß sind diese Reproduktionsformen nicht primär gemeint, das wäre reine Nostalgie und Betonung des Belanglosen. Vielmehr macht Anna Maria Strackerjan in ihren offenen, zerbrechenden, den Verfall andeutenden Plastiken sichtbar, daß diese Ersatzformen in der Auflösung begriffen sind, daß sie zu verfallen drohen - und mit ihnen die Welt und die Zeit für die sie gestanden haben.
So bestimmt eine merkwürdige Ambivalenz diese letzten Plastiken: Indem sie erkennbar historisch vergangene Formen spiegeln, sie aber mit aktuellem Material darstellen und ihre Zerbrechlichkeit betonen, wird die Vergänglichkeit der humanen Welt, der Abschied von der Vergangenheit ausgedrückt. Aber das Neue muß erst seine Stärke beweisen, auch dafür gilt das ewige Gesetz des Vergehens.
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